Kapitel 5 – Ausbildung
Eigentlich hatte Phillisae eine alte Frau erwartet, eine typische Lehreroma. Aber das was ihr dort in diesem Ausbildungszentrum begegnete war praktisch ihr Ebenbild. Jung, hübsch, galant gekleidet – Allerdings vielen sofort auch einige Details auf. Etwas maskulin die gute Frau und sehr hartes Gesicht. „Marielle passt nun zu diesem Äußeren mal gar nicht“ dachte Phillisae bei sich, grüßte stattdessen aber natürlich mit einem „Schönen Tag. Ich bin Phillisae.“ wie es sich gehört. Sie bekam zur Begrüßung gleich einen festen – einen Tick zu festen – Händedruck von Marielle, die offenbar sehr wortkarg war.
Marielle deutete drauf hin, ihr zu folgen. „Vielleicht ist die Gute ja stumm, wer weiß“ dachte sich Phillisae und begutachtete die neue Umgebung. Es war wirklich ein Zentrum. Von außen war der Jägerschuppen so unscheinbar klein gewesen, aber wenn man drin war, kam man sich vor wie in einem riesengroßen Kaufhaus. Phillisae dachte zum ersten Mal drüber nach, was für Ausmaße die Anlage einnehmen musste. Wenn sie das alles richtig gesehen hatte, maß die Anlage im gesamten ein Kilometer in jede Richtung – auch nach unten. Und in dieser Größenordnung befand sich auch das Zentrum. Es bestand im Wesentlichen eigentlich nur aus einer Halle, einem Eingangsbereich und einem weiteren Raum, der bisher nicht näher einsehbar war. Und trotzdem, der Komplex maß bestimmt 20 Meter in der Länge und locker 15 Meter in der Breite. Phillisae begriff langsam die Größen in denen sie sich befand.
Als sie in der großen Halle waren, war Phillisae leicht irritiert. Sie hatte Maschinen und ähnliches erwartet. Stattdessen war es hier schlicht und ergreifend leer. Die Halle war ein großer gelb-metallischer Klotz. Es war schlicht und ergreifend Nichts in ihm außer die Luft die man atmete. Marielle lächelte sie an, in Erwartung ob Phillisaes Frage. Die blieb aber stumm, weil sie dachte, irgendwas wird schon noch gleich passieren. Sie sollte Recht behalten, denn wie aus Geisterhand öffnete sich ein Teil des Bodens und gab ein wenig der Einrichtung preis. Ein Hochglanz-Simulator. „So, Phillisae.“ Begann die offenbar doch nicht so stumme Marielle. „Das ist, wie du siehst, ein Simulator. In ihm, obwohl er so unscheinbar klein aussieht, wirst du wohl die kommenden Wochen verbringen. Jedenfalls zu einem hohen Anteil.“
Phillisae wunderte sich. Denn der Simulator, der war wirklich kein. Sie würde gerade so rein passen. Einen Simulator in der Form hatte sie noch nie gesehen. Aber jetzt machte die ganze Szenerie wenigstens einen Sinn. Hier war wirklich hoch entwickelte Technik im Einsatz. Marielle schien ihren Gesichtsausdruck richtig zu deuten. „Wie ich sehe, scheinen sie schon weites gehend alles verstanden haben. Schön. Kurz zusammengefasst: Der Simulator wird erst deine Ausdauer trainieren, damit du dich langsam aber sicher an unsere Standards antasten kannst und später dann gibt es noch zwei oder drei zusätzliche Programme, je nach dem, wie gut du abschneidest.“
Phillisae verstand schnell und nickte nur. Worte waren überflüssig. „Und gleich geht es schon los?“fragte sie neugierig und bekam ein knappes „Ja.“ als Antwort. „Muss ich noch was tun? Gibt es spezielle Kleidung oder ähnliches?“ Phillisae war sich ein wenig unsicher. „Nein, gibt es nicht. Einfach in den Simulator einsteigen und Spaß haben.“ sagte Marielle mit einem Lachen und verschwand wieder in den Eingangsbereich. Auf dem Weg dahin meinte sie nur nebenher, sollte Phillisae erschöpft sein, es jeder Zeit mit einem roten Knopf die Möglichkeit gäbe, das Programm zu unterbrechen. Phillisae stieg in den Simulator, ein wenig die Form einer geschwungenen Feder hatte und drückte den einzigen Knopf, den es gab. Und schon ging es los...
Der Simulator passte sich an Phillisaes Körper an und ihre Augen sahen nun durch eine Art Visier. Die große Halle veränderte im Simulator ihr Aussehen und wurde zu einer Stadtruine, in der eigentlich großartig kein Stein mehr auf dem anderen stand. Währenddessen stand der Simulator nicht still, sondern bewegte sich mit Phillisaes Bewegungen mit. Man hätte ihn nach der „Verwandlung“ der Halle praktisch als Kampfanzug sehen können. Um ihre Ausdauer zu trainieren wurden ihr in der Stadt diverse Gegner vor die Nase – oder besser, hinter die Nase – gesetzt, vor denen sie erst einmal nur eins tun sollte: Weglaufen und das wenn es geht taktisch geschickt und dennoch schnell. Ersteres war erst einmal gar nicht so wichtig für Phillisae, aber Hauptsache, sie bekam schnell Abstand zu denjenigen, die sie verfolgten.
So ein Simulator hatte Phillisae zwar schon einmal gesehen, aber wie es sich in ihm anfühlte, war gänzlich neu für sie. Wenn man einen Abhang runter ging oder an einer Wand sich hoch hangelte, fühlte es sich auch genauso an. Wie das möglich war, war ihr ein komplettes Rätsel. Aber sie merkte regelrecht, wie ihr schon nach gut einer halben Stunde mächtig die Puste ausging. Immer mehr Gegner, allesamt Menschen in diversen Kampfanzügen, verfolgten sie – und bekämpften sich auch untereinander. Ein insgesamt fast schon realistisches Szenario. Aber lange hielt sie es nicht aus. Nach insgesamt 40 Minuten drückte sie den in der Zwischenzeit urplötzlich aufgetauchten roten Knopf und beendete sehr abrupt und vor allem fast schon schmerzhaft ihre erste Übung. Der Simulator begab sich wieder in ihre ursprüngliche Form und Phillisae hatte heftigen Muskelkater.
Da stand auch schon Marielle in der Tür zur Halle und lächelte sie an. „Hervorragend Phillisae. Sie haben wirklich tapfer durchgehalten. Ich konnte mir ihre Vorstellung vorne am Computer in Ruhe ansehen. Ruhen sie sich erst einmal aus. Der Tag wird noch lang für sie werden. Drüben im Nebenraum gibt es auch genug, um sich wieder auf Vordermann – oder besser Vorderfrau – zu bringen.“
Und so ging es weiter – den lieben langen Tag.