Elisabeth stand am unteren Ende der Treppe die hinaus auf die Straße führte, in der linken Hand hielt sie ihr Halstuch. Sie warf einen misstrauischen Blick auf die kränklich, gelben Nebelschlieren und dachte einen Moment nach. Während der letzten Minuten schienen die Dunstschwaden merklich dünner geworden zu sein, vielleicht sollte sie mit dem Tuch doch besser ihren Kopf, oder die Wunde an ihrem Bein verbinden? Mit einem Kopfschütteln entschied sie sich dagegen. Was immer dieses Zeug war, je weniger davon die Gelegenheit erhielt in ihre Lungen zu dringen umso besser. Sie faltete ihr Halstuch zu einem Dreieck, legte es sich über Mund und Nase und Band die Enden vorne wieder zusammen. Für einen Moment musste sie Grinsen. Mit einem Palästinensertuch, wie es viele dieser Möchtegern alternativen Kids trugen hätte sie sicher ziemlich “cool” ausgesehen. Das lavendelfarbene Seidenhalstuch ihrer Großmutter mit dem knallgelben Butterblumenmuster hingegen wirkte wohl nicht besonders erschreckend, Modedesigner und Leute mit gutem Geschmack einmal ausgenommen.
Sie gab sich einen innerlichen Stoß und mit besorgten Vorahnungen im Hinterkopf stieg sie die Treppe hinauf.
Was sie erblickte als sie die offene Straße erreichte ließ sie abrupt innehalten. Die Salesbury Road sah aus wie ein Schlachtfeld. Dünne Schwaden gelben Nebels hingen über dem Boden und begannen sich langsam zu setzten. Die Häuserfronten, Autos und die Straße war an vielen Stellen von gelblich-grünem Staub, wie bei starkem Pollenflug, bedeckt. Die Straße war ein einziger Auffahrunfall. Überall waren Autos ineinander verkeilt, in Hauswände gekracht, kreuz und quer auf den Straßen zum Stillstand gekommen. An der nächsten Kreuzung sah es besonders schlimm aus. Ein Bus war in einen Lkw gerauscht, der seitlich auf einem brennenden Ford lag. Fetter schwarzer Qualm stieg in den Himmel. Und die Menschen! Die Luft war erfüllt von Stöhnen und schleimigem Husten. Hier und da saßen oder knieten Frauen und Männer die sich, nach Luft ringend, die Seele aus dem Leib würgten. Ein paar taumelten ziellos umher. Elisabeth konnte sehen wie ein paar Meter weiter eine Frau röchelnd zusammenbrach. Einige saßen blutüberströmt neben den offen stehenden Türen ihrer deformierten Autos, zu ihrer rechten hing ein Mann leblos aus der zerborstenen Windschutzscheibe seines Wagens. Leblos. Und er war nicht der Einzige. Die meisten Körper die Elisabeth sah, gaben weder stöhnen noch husten von sich, sondern lagen reglos, und verkrümmt auf dem Bürgersteig oder der Straße. Und über all dem dieser Gestank! Dieser grauenvolle Gestank nach verfaulten Eiern und verbranntem Fleisch. Es kostete Elisabeth einige Konzentration ihren Würgreflex nieder zu kämpfen und den widerwärtigen Odem so gut es ging zu überwinden. Im Nordosten über dem Parliament Hill hing eine dunkle, grünlich verfärbte Wolke fett und schwer am Himmel und verdunkelte das ohnehin schon trübe Licht des Regentages noch weiter. Elisabeth kniff die Augen zusammen, war es eine optische Täuschung oder breitete sich diese ekelhafte Wolke wirklich langsam aus? Ein Regentropfen, kalt und nass, der seinen Weg in ihren Kragen gefunden hatte schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Es regnete nicht besonders stark, aber mit jener Beständigkeit die einen früher oder später bis auf die Knochen durchnässte.
Elisabeth zog ihren Kragen zusammen und wandte sich um. Für diese armen Menschen hier konnte sie nichts tun, sie musste sich im Stützpunkt melden und ihre Ausrüstung besorgen. Eine leise Vorahnung sagte ihr, dass dies im Moment das Wichtigste war.
Hastig eilte Elisabeth über die Kilburn Lane und die Portnall Road hinab. Überall bot sich ihr das selbe Bild. Kollidierte, teils brennend Autos, gelber Staub und Nebelschlieren, würgende Menschen und leblose Körper. Ihr Haar klebte ihr nass an den Schläfen und ihr Hinterkopf brannte, doch sie achtete nicht darauf sondern lief weiter. Sie hatte mehrmals versucht ihren Stützpunkt zu erreichen, doch sie bekam jedes Mal nur ein “Besetzt” Signal, irgendwann hatte sie es aufgegeben und sich darauf verlegt schneller zu laufen. Die entsetzliche Hilflosigkeit, die sie beim Anblick der zerstörten Straßen zunächst empfunden hatte war zunächst ungläubiger Bestürzung und dann kalter Wut gewichen. Welcher verrückte Rote Spinner, Mullah oder Anarchist auch immer hinter diesem Anschlag steckte, wenn ihm nicht Irgendjemand eine Kugel in den Kopf jagte, dann würde sie es höchstpersönlich tun! Und im Moment war ihr dieser Gedanke Todernst.
Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass offensichtlich auch Andere den Angriff einigermaßen heil überstanden hatten. Immer wieder begegnete sie Menschen die hektisch in die eine oder andere Richtung eilten. So schlimm es hier draußen aussah, die meisten waren wohl in ihren Wohnungen oder Arbeitsplätzen vor dem giftigen Nebel geschützt. Es wunderte sie zwar ein wenig, dass sie auf dem ganzen Weg nicht auf eine einzige Polizeistreife, oder einen Krankenwagen stieß, aber vermutlich war es im Zentrum der Explosion weitaus schlimmer und die Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Im Zentrum der Explosion… Wahrscheinlich dort wo auch diese unheimliche Wolke ihren Ursprung hatte. Elisabeth warf einen Blick über die Schulter. War die Wolke gewachsen? Es kam ihr so vor, als wäre mittlerweile ein deutlich größeres Stück des Himmels verdeckt als vor einigen Minuten. Sie wandte den Blick wieder nach vorne. Verdammt, was für eine Teufelei hatte man ihnen da auf den Kopf geworfen?
Elisabeth joggte weiter durch den Regen, auf allen Seiten von Szenen wie aus einem Katastrophenfilm umgeben. Sie überquerte die Harrow Road. Hier sah es zwar auch recht schlimm aus, aber es waren wesentlich mehr Menschen auf den Beinen als ein paar Blocks weiter nördlich. An der Abzweigung zum Westway sah sie die Blaulichter eines Löschfahrzeugs blitzen. “Endlich kümmert sich wer um die Leute.”, dachte sie bei sich. Der Anblick hatte sie beruhigt. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche und probierte es noch einmal bei ihrer Basis. Gerade wollte sie das Telefon wieder wegstecken, als sich ihre Nackenhaare sträubten. Ein Schrei erklang, sie zog den Kopf ein, und sah gerade noch wie ein geflügelter Schatten über die Straße huschte und hinter dem nächsten Häuserblock verschwand. Eine kalte Furcht erfasste sie und sie wurde langsamer. Was zum Teufel war denn das gewesen? Ein Vogel? Nein.. Es war viel zu groß gewesen für einen Vogel… und diese Konturen… Elisabeth lief ein Schauer durch Mark und Bein. Ein namenloses Grauen umklammerte ihr Herz mit eisigen Klauen und presste ihr die Luft aus den Lungen ,während ihre Hände zu zittern begannen. Zuckende Bilder von Kreaturen mit Flügeln und mörderischen Klauen, tauchten aus ihrem Geist auf. Alpträume aus ihrer Kindheit und Erinnerungen an billige Horrorfilme. Mit einem Kopfschütteln, dass sie einiges an Kraft und Überwindung kostete warf sie die Gedanken an Geister und Monster ab. Sie musste sich getäuscht haben. Wahrscheinlich aufgrund von Überreizung. Kein Wunder wenn man daran dachte, was während der letzten halben Stunde so alles passiert war.
Entschlossen, doch erheblich langsamer, setzte sie ihren Weg fort, bis zum Hotel war es nicht mehr weit.
Sosehr sie sich auch bemühte, Elisabeth konnte das mulmige Gefühl in ihrer Bauchgegend nicht mehr vertreiben. Seit sie den seltsamen Geflügelten Schatten gesehen hatte war es da, und es hatte sich hartnäckig festgesetzt. Ihr Verstand sagte ihr wieder und wieder, dass sie sich getäuscht haben musste, es konnte nicht gewesen sein für was sie es hielt, doch der saure Kloß in ihrem Magen war anderer Meinung. Es machte die Sache nicht leichter, dass er zudem ein Bündnis mit ihrem Gefahreninstinkt geschlossen zu haben schien, der ihre Nackenhaare zu Berge stehen, und sie bei jedem Schritt langsamer werden ließ. “Verdammt!” Elisabeth brach in kalten Schweiß aus, der ihr zusammen mit dem Regen in dünnen Rinnsalen in den Kragen lief. Eine Straße weiter rechts war ihr Hotel und das Zimmer mit den Waffen und gerade jetzt lag eine Bedrohung so deutlich spürbar in der Luft, dass sie am liebsten auf der Stelle wieder umgekehrt wäre. Die Straße War düster. Eng beieinander stehende Häuserblocks und graue Regenwolken sperrten fast alles Licht aus. Sie sah weder Menschen noch Autos, nur dünne Spuren gelben Staubs im Regenwasser das gemächlich auf die Abflüsse zustrebte. Etwas auf der linken Straßenseite zog ihren Blick auf sich. An der Hauswand gegenüber, neben einer schmalen Seitengasse lag eine alte Frau. Sie war in sich zusammen gesackt und zur Seite gekippt, die Wand hinter ihr blutverschmiert. “Es muss ein Autounfall gewesen sein.” dachte Elisabeth. Sie ging weiter und wurde immer langsamer. “Ein Unfall!” Aber wo war bitteschön das Auto? Es war weit und breit kein Unfallsfahrzeug zu entdecken. “Dann hat sich der Fahrer eben aus dem Staub gemacht!” Ihr Blick blieb starr auf die Leiche der Frau geheftet. Drei klaffende, blutige Schnitte verliefen in gleichmäßigen Abständen über den verstümmelten Körper der alten Frau. Sie konnte sich einreden was sie wollte. Kein Auto der Welt zerfetzte einem den Brustkorb. Sie tat noch einen Schritt weiter und ihr Blick fiel in die Seitengasse gegenüber der, in der ihr Hotel lag. Da bewegte sich etwas! Ein Schatten! Zwischen den Mülltonnen kauerte eine gestalt. Ein Hund? Aber es war zu groß für einen Hund. Der saure Kloß stieg ihr in die Kehle und ließ ein kaltes Zittern in ihrem Körper zurück. Der Schatten hatte sich über etwas gebeugt, und er tat etwas, und die Geräusche von dem WAS er tat erinnerten sie auf grausige Weise an das Knacken und Schmatzen das ihre Katze veranstaltete wenn sie eine Maus fraß.
Stück für Stück schob sie sich an der Hauswand hinter ihrem Rücken entlang. Sie hatte begonnen sich vorsichtig um die Ecke zu schieben, als ihr Blick auf einen Fuß in Turnschuh fiel der aus dem unförmigen Haufen ragte über den sich das Ding gebeugt hatte. Übelkeit und Grauen stiegen in ihr auf. Sie hätte am liebsten geschrieen oder sich übergeben, aber sie konnte sich beherrschen. Meter für Meter schob sie sich Rückwärts in die Straße in der ihr Hotel lag, hoch konzentriert nicht das kleinste Geräusch zu verursachen. Das Hotel musste ungefähr 30 Meter hinter ihr sein. Sie riskierte einen kurzen Blick über die Schulter. Ja, da war das Schild, “Fermoy Inn”, sie hatte es fast geschafft! Sie wandte sich wieder dem Fressenden Biest zu, zog ihren Fuß zurück und… stieß mit der Ferse an irgendetwas an. Eine stechende Hitze durchfuhr sie, sie drehte sich um, und konnte ganz genau verfolgen wie eine leere Coladose leise, wie in Zeitlupe, aber unaufhaltsam, auf die Bürgersteigskante zurollte. Regentropfen schlugen mit leisem “Pling” auf das Blech. Sie machte kullernd einen kleinen Bogen nach links und… “Klonk. Klonk. Klonk.” ,purzelte sie von der Kante. Das Geräusch war nicht Laut, aber in ihren Ohren klang das Scheppern wie schwere Hammerschläge, sie wandte sich wieder dem Ding in der Seitengasse zu, und die Zeit begann in gewohnter Geschwindigkeit weiter zu laufen. Der schwarze, hundeähnliche Schatten lies von seiner Beute ab, seine Schnauze fuhr witternd in die Luft. Ruckartig wirbelte das Biest herum. Rot leuchtende Augen fixierten Elisabeth. Ein sehniger Körper endete in überlangen, klauenbewehrten Armen, der Kopf des Wesens glich einer Mischung aus Alligator und Wolf. Ein Knurren entrang sich der Kehle der Kreatur
Während Elisabeths Vrstand in ungläubigem Entsetzen erstarrte übernahm ein weiters mal ihr Instinkt die Kontrolle über ihren Körper. Schneller als sie es sich je hätte vorstellen können wirbelte sie herum und rannte los. Ein Schauriges Heulen zerriss die Luft und ein galoppierendes Geräusch verkündete ihr, das die Kreatur ihre Verfolgung aufgenommen hatte. Ein entsetzliches Grauen stieg in ihr auf. “Ich werde gefressen! Ich werde von einer Kreatur aus der Hölle gefressen!” Sie konnte an nichts anderes mehr denken! Doch die Angst verlieh ihr Flügel, spornte sie an. Ihre Muskeln stachen in brennendem Schmerz als sie ihren Körper weit über die gewöhnliche Grenze hinaus zur Höchstleistung antrieb. Dennoch kam die schwere Eichenholztür des Hoteleingangs nur quälend langsam näher, während sie immer deutlicher das rhythmische Klicken von Klauen auf hartem Asphalt vernahm. Für einen Moment huschte ein schrecklicher Gedanke durch ihren Kopf. “Was wenn jemand die Tür abgeschlossen hatte?” Doch ihr blieb keine Zeit mehr, mit einem Mahl hatte sie die alte Doppeltür erreicht, ihre Hand fuhr zur Klinke, mit einem Schwung riss sie die Tür auf. “Gottseidank!” Sie glaubte fast den heißen Atem der Bestie in ihrem Nacken zu spüren als sie in die Eingangshalle stürzte und mit aller macht die Tür hinter sich ins Schloss schlug. Ein dröhnender Knall erfüllte die Luft, die Klinke wurde ihr aus der Hand gerissen, und sie geriet auf dem roten Läufer der durch die Eingangshalle führte ins stolpern. Ein lautes, dumpfes Rummsen ließ ihr Trommelfell beben als etwas von außen schwer gegen die dicke Tür schlug und sie erzittern ließ. Ein hektischer Blick nach links und rechts zeigte ihr den leeren Empfangsschalter und die verlassenen Sofas des Foyers. Sie wurde etwas langsamer, fing sich wieder und rannte geradeaus weiter auf den Aufzug zu. Heute konnte sie dem Himmel nicht genug danken, die Tür stand offen und das goldene Licht der Kabinenbeleuchtung erwartete sie verheißungsvoll. Noch drei Schritte, zwei, dann knallte sie gegen die Rückwand der holzgetäfelten Fahrstuhlkabine. Sie wirbelte herum und hämmerte auf die oberste Taste des Panels, die die Vier zeigte. Während sich die Fahrstuhltüren mit lähmender Langsamkeit schlossen warf sie einen Blick Richtung Eingangstür. Das Holz erzitterte unter einigen mächtigen Schlägen, dann trat Ruhe ein. Sie erkannte noch durch die Gardinen wie sich ein Schatten vor dem linken der beiden großen Fenster bewegte durch die trübes Licht in die Eingangshalle drang, dann schloss sich die Tür der Kabine..
Elisabeth sackte schwer atmend an der Rückwand des Aufzugs zusammen während sich der Lift in Bewegung setzte.
Die sanftdunklen Töne eines langsamen Blues drangen aus den Lautsprechern während der Aufzug langsam nach oben glitt. Elisabeth dachte nach. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert, aber die Gitter waren mehr kunstvoller Zierrat als wirklicher Schutz und sie bezweifelte dass ein entschlossener Einbracher oder eine Kreatur der Hölle größere Probleme damit haben würde sie zu durchbrechen. “Ganz ruhig.” sagte sie sich selbst. “Beruhige dich erstmal. Für den Moment bist du am Leben und in Sicherheit Liz, und damit das auch so bleibt solltest du einen klaren Kopf behalten.” Sie Griff nach ihrem Handy und drückte die Wahlwiederholung. Die langsamen Töne des Blues aus dem Lautsprecher taten ihr gut. Langsam senkten sich Puls und Atem und sie wurde ruhiger. Die Telefonleitung knackste, doch sonst tat sich nichts. Mit einem resignierten Seufzer steckte sie das Telefon wieder weg. Auf dem Aufzugspanel leuchtete die Vier auf und mit einem freundlichen “Bing!” öffneten sich die Türen.
Elisabeth trat auf den von schummrigem Licht aus viktorianisch gehaltenen Wandlampen erhellten Flur.
Der rote Läufer, der auch hier ausgelegt war, dämpfte ihre Schritte während sie den Gang entlang zu Zimmer 304 schritt. Ihre Hände zitterten und waren von kaltem Schweiß bedeckt, als sie den Schlüssel aus der Tasche zog. Sie brauchte mehrere Anläufe, doch schließlich gelang es ihr aufzusperren. Sie trat in ihr Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu, lehnte sich mit einem schweren Seufzer dagegen und schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete bemerkte sie, dass es im Zimmer verdammt düster war. Ein Blick aus dem gegenüberliegenden Fenster zeigte einen wolkenverhangenen Regenhimmel in dessen Mitte sich eine große Wolke schwarz-grün und fettig , wölbte. Sie war tatsächlich gewachsen, doch Elisabeth kümmerte sich nicht weiter darum. Sie hatte dringendere Probleme und Heute schien sowieso nichts unmöglich. Sie knipste den Lichtschalter an. Sofa, Tisch, Fernseher und Schrank des Wohnzimmers erstrahlten in reinlichem Glanz. Es war ziemlich erbärmlich aus Langweile zu putzen, dachte Elisabeth, während sie ihr erster Weg zur Minibar links neben dem Fernseher führte. Sie öffnete die Bar und griff nach eine Flasche Whiskey, für einen Moment wollte sie auch nach den Gläsern greifen, entschied sich dann aber dagegen. Sie zog sich das nasse Seidentuch vom Gesicht, schraubte die Flasche auf und nahm einen tiefen Schluck. Ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper und sie stellte die Flasche zurück. Dann löste sie den Knoten des Halstuchs, warf es auf das Sofa, streifte die Jacke ab und schleuderte sie achtlos fort. Dafür das das Mistding so teuer gewesen war, war es verdammt schnell kaputtgegangen. Die wohlige wärme des Alkohols breitete sich in ihrem Magen aus. Sie holte tief Luft und rekapitulierte ihre Situation. Sie war völlig durchnässt und hatte einige kleine Verletzungen davon getragen. Doch ansonsten ging es ihr gut. Die Londoner Innestadt war ein einziges Chaos, so wie es aussah gab es Hunderte verletzte und Tote, und sie konnte ihre verdammte Kaserne nicht erreichen. Am Himmel machte sich eine mysteriöse dunkle Wolke breit und eben wäre sie fast von einem Hundekrokodil gefressen worden.
Elisabeth lachte gequält auf, das Ganze kam ihr vor wie ein Horrorfilm oder ein schlechtes Videospiel.
Egal. So wie es aussah war es keins von beidem sondern so real wie man es sich nur vorstellen konnte, und für Extremsituationen war sie ausgebildet worden. Der saure Kloß in ihrem Hals löste sich während dieser Überlegungen auf und ihre innere Ruhe kehrte zurück. Ihre Hände hörten auf zu zittern, es blieb nur ein schwaches kribbeln in den Fingerspitzen. Was war zu tun? Als erstes musste sie aus diesen feuchten Kleidern raus und ihre Wunden versorgen. Sie streifte die Schuhe ab, zog Top und Hose aus, zupfte ihren Slip zurecht und warf die nassen Sachen zu dem Halstuch auf die Couch. Dann durchquerte sie linker Hand das Schlafzimmer, betrat das Bad und trocknete sich die Haare. Die Schürfwunden, die Platzwunde am Kopf und der Schnitt am Bein waren schnell versorgt. Für Erstere reichten Jod und Pflaster, auf die beiden anderen kamen Mullkompressen die sie mit Binden fixierte. Frisch verarztet kehrte sie in ihr Schlafzimmer zurück. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. Seit sie das Zimmer betreten hatte waren gerade mal fünf Minuten vergangen, aber sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass die verschnörkelten Fenstergitter das Ding dort draußen so lange aufhielten, es war Eile geboten.
Rasch öffnete sie den Kleiderschrank, zog eine Tarnhose an und schlüpfte in ihre Stiefel, dann streifte sie den nächst besten Pullover über. Sie fluchte unablässig vor sich hin während sie eine ganze wertvolle Minute dafür opfern musste ihre Stiefel zu schnüren, schließlich hatte sie es geschafft und nun fehlte nur noch das Wichtigste. Sie umrundete gerade das Bett, als irgendwo im Haus, ein paar Stockwerke tiefer, ein dumpfes Krachen, und das splittern von Holz zu vernehmen waren. Hastig kniete sie sich vor die große Aluminiumkiste neben ihrem Bett und fummelte an dem Zahlenschloss herum. Ihre Hände wurden wieder feucht und ihre Fingerspitzen begannen stärker zu prickeln. Das Schloss schnappte auf und sie hob gerade den Deckel als ein panischer Schrei durch das Haus gellte, gefolgt von einem Heulen, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ und einem dumpfen Rumpeln von weiter unten. Kalter Schweiß trat Elisabeth auf die Stirn. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Verdammt! Das teuflische Ding war im Haus und es war auf der Jagd! Sie nahm Schutzweste und Pistolenhalfter aus der Kiste und legte sie mit tausendfach geübter Routine an. Mit einem raschen Griff überprüfte sie ihre P8 und steckte sie zufrieden zurück in den Halfter. Sie wollte gerade nach dem Rest des Körperpanzers greifen als erneut schrille Schreie von unten herauf gellten, Schreie der Todesangst! Keine Zeit! Sie schleuderte die Teile des Panzers beiseite und schnappe sich zwei Ersatzmagazine für die Pistole. Irgendwo zersplitterte Glas. Ein Kind schrie nach seiner Mutter und verstummte abrupt. Dieses verfluchte Mistvieh! Tränen des Zorns traten Elisabeth in die Augen. Mit einem wütenden Schrei warf sie die Kiste um. Gasmaske, Nachtsichtgerät, Mobiles Funkgerät, Ersatzmagazine, Feldflasche und ein ganzes Waffenarsenal landeten auf dem Boden. Sie schnappte sich zwei Handgranaten und Hakte sie in ihren Gürtel. Ein weiterer langezogener Schmerzensschrei, diesmal von einem Mann ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Mit vor Ungeduld zitternden Händen raffte Elisabeth an Munition zusammen was sie nur finden konnte und stopfte es in Gürtel und Taschen. Endlich fiel ihr Blick auf das was sie suchte. Sie fegte einen Neoprenanzug zur Seite, packte ihr M416 B Sturmgewehr und eines der Doppelmagazine und rammte es in die Waffe. Die Schreie des Mannes waren immer noch zu hören, er starb nicht schnell, aber er starb. Sie hatte solche Schreie schon viel zu oft gehört. Aber jetzt war nicht der Augenblick um Schwäche zu zeigen. Welchem Genlabor auch immer dieses Ding entsprungen war, durch Wände konnte es nicht gehen, also war es kein Geist. Es hatte gefressen, folglich hatte es ein Stoffwechselsystem. Was einen Stoffwechsel hatte lebte und was lebte ließ sich töten. Mit einem Klicken entsicherte Elisabeth das Gewehr. Ihr Herzschlag war schnell, aber gleichmäßig. Ihre Hände hatten aufgehört zu Zittern und der Schweiß war versiegt. Alles was zurückgeblieben war, war ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, pure Konzentration und ein kalter, aber bohrender Zorn in ihrem Herzen. Langsam näherte sie sich ihrer Zimmertür. Der Mann im Stockwerk unter ihr schrie immer noch als plötzlich weitere panische Stimmen und Lärm aus einer anderen Ecke des Hauses ertönten. Diesmal überkam Elisabeth keine Panik, nur die Flamme in ihrer Brust loderte stärker auf. Entweder war dieses Ding verdammt schnell, oder es war mehr als nur eines. Unwichtig. Elisabeths Augen glitzerten kalt und tödlich. Dieses Etwas hielt sich also für einen Jäger, wie? Sie würde ihm zeigen was ein ECHTER Jäger war. Elisabeth packte das Sturmgewehr fester und trat auf den Gang.
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" Er sah ein Licht am Ende des Tunnels. Es stammte von einem Flammenwerfer."