Mühsam rappelte Elisabeth sich wieder auf die Beine. Sie hatte sich bei ihrem Sturz zahlreiche Prellungen und blaue Flecken zugezogen und ihr Hinterkopf schmerzte ganz besonders. Als ihre vorsichtig tastenden Finger die Stelle erreichten zuckte sie zusammen. An ihren Händen klebte Blut. “Mist.. Eine Platzwunde. Hoffentlich nichts schlimmeres.” Sie ließ ihren Blick kontrollierend über den Rest ihres Körpers schweifen. Alles schien noch an seinem Platz zu sein, wenn auch nicht ganz unversehrt. Die Dünnen Ärmel der Weinroten Kunstlederjacke die sie über ihrem Top trug waren durchgescheuert und die Ellenbogen aufgeschürft, an ihrem linken Schienbein klaffte ein Loch in ihrer Jeans, darunter hatte die harte Kante einer Treppenstufe das Bein aufgerissen, die Wunde war nicht sehr tief, aber schmerzhaft. Langsam begann dass dröhnen in ihrem Kopf nachzulassen. Ein ironisches Grinsen huschte über Elisabeths Lippen. Nun, dafür, dass sie soeben eine mehrere Meter Hohe Treppe im Sturzflug überwunden hatte war sie eigentlich in erstaunlich guter Verfassung. Elisabeth holte tief Luft und brach gleich darauf in einen keuchenden Hustenanfall aus. Mein Gott! Wo kam nur dieser Gestank her? Es roch nach verfaulten Eiern und irgendwie auch verbrannt. Gemächlich, aber schneller als sie erwartet hatte zog sich der Schmerz in ihrem Kopf zu einem heißen Punkt an ihrem Hinterkopf zusammen und erlaubte ihr wieder klar zu denken. Warum zum Teufel hatte sie sich Kopfüber eine Treppe hinuntergestürzt? Richtig… da war dieses Gefühl der Gefahr gewesen. Elisabeth blickte auf ihre Hände, ein leichtes Zucken durchlief ihre Muskeln. Ihre Fingerspitzen prickelten immer noch. Leicht zwar, aber sie konnte es nicht übersehen, selbst nach diesem Sturz stand ihr Körper immer noch unter Anspannung. Kein Wunder. Sie erinnerte sich an einen lauten Knall den sie gehört hatte als sie auf den Boden aufschlug. Eine Explosion. Eine gewisse Erleichterung machte sich für einen Augenblick in ihr breit. Sie hatte also allen Grund gehabt sich schleunigst irgendwo in Deckung zu begeben, auf ihre Reflexe war eben doch Verlass. Doch was genau war eigentlich geschehen? Sie musste ein kurzes Würgen aufgrund des widerlichen Gestanks unterdrücken und wandte sich um, in Richtung der Treppe die nach oben auf die Straße führte. Sie stutze. In dem trüben Licht, dass von draußen in den U-Bahn Zugang fiel wirbelten dünne Schleier aus Staub, gelblich grün, wie dünne Nebelfetzen. Ein leiser Windhauch ließ die kränklichen Schlieren in der Luft tanzen, zerstreute ihre Ränder, und trug eine weitere Woge des ekelhaften Geruchs zu ihr hinab, der in ihrer Nase brannte und sie erneut husten ließ.
Was in Dreiteufelsnamen war das für ein Zeug? Eine Biologische Waffe? Nein, das war nicht möglich, denn Viren und Bakterien waren unsichtbar, und außerdem staken sie nicht. Ein Giftgasanschlag vielleicht? Zwar möglich aber höchst unwahrscheinlich, sie kannte kein modernes Kampfgas, dass solchen Gestank und gelben Nebel verbreitete, und an Kampfgasen kannte eine ganze Menge. Nun, was auch immer es war, noch war sie nicht tot, doch sollte eine der beiden Möglichkeiten zutreffen würde sie es so oder so bald sein, Massenvernichtungswaffen konnte man nicht durch einen Hechtsprung in die U-Bahnstation entkommen. Es sprach demnach nichts dagegen die Treppe hinauf zu steigen und sich ein Bild davon zu machen, was denn nun eigentlich passiert war.
Sie hatte gerade den Beschluss gefasst sich draußen umzusehen und die Hand auf das Treppengeländer gelegt als sie ein seltsames Geräusch innehalten ließ. Ein kehliges Gurgeln und gepresstes Husten Drang an ihr Ohr. Sie hielt inne. Ihre Fingerspitzen begannen stärker zu prickeln. Tappende Geräusche, wie von unsicheren Schritten, erklagen auf den oberen Stufen, dann tauchte eine schwankende, menschliche Gestalt im Zwielicht am oberen Ende der Treppe auf. Elisabeth trat einen Schritt zurück. Schwerfällig und taumelnd überwand die Gestalt die ersten Treppenstufen, es war ein Mann in einem dunklen Anzug. Etwa der den sie vorher beiseite gestoßen hatte? Ein kehliges keuchen entrang sich seiner Brust, dann gaben seine Knie nach und er sackte seitlich gegen das Geländer. Elisabeth zögerte nicht lange und spurtete die Treppe hinauf um dem offensichtlich verletzten Mann zu helfen. Er war auf der Treppe zusammengebrochen, der Kopf auf die Brust gesackt. Elisabeth kniete sich neben ihm nieder. “Sir?” Sie fasste den Mann an der Schulter. Sein Anzug war teilweise wie von dünnem Pollenstaub bedeckt. “Sir, können sie mich hören?” Mit einem Stöhnen hob der Mann den Kopf. Sein Haar war zerzaust, das Gesicht Schweißbedeckt und die Augen blutunterlaufen. Er hustete schwer und schleimig, aber er nickte. “Gottseidank!” Elisabeth entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. “Können sie gehen?” Ein Kopfschütteln, gefolgt von einem neuerlichen Hustenanfall war die Antwort.
Elisabeth dachte rasch nach. So wie es aussah war es wohl doch nicht so verkehrt gewesen sich in die U-Bahn zu flüchten. Der Mann hatte eindeutig zuviel von dem ekelhaften Rauch eingeatmet.
Das Einzige was sie tun konnte war ihn an einen Ort zu bringen wo die Luft besser war, und darauf zu hoffen das er sich erholte. Tiefer in die Station hinein. “Kommen sie, ich helfe ihnen:” Elisabeth fasste den Mann mit dem linken Arm unter der Schulter und legte sich seinen rechten über die ihre. Mit einem “Und hopp!” Hievte sie den immer noch keuchenden Verletzten in die Höhe. Der Mann war zwar nicht besonders schwer, aber seine Beine konnten ihn nicht einmal mehr ansatzweise tragen, so dass sein ganzes Gewicht auf Elisabeths Schultern lastete, aber es ging. Langsam und vorsichtig bugsierte sie ihn die Treppe hinab, dann um die Ecke und die nächsten Stufen hinab zu den Bahngeleisen. Die Station war fast leer, lediglich eine kleine Gruppe von 10, vielleicht 12 Personen stand zusammengedrängt am Bahnsteig und diskutierte mit aufgeregten Stimmen. As sie der beiden Neuankömmlinge auf der Treppe gewahr wurden dauerte es nur einen Augenblick, dann eilte ein junger Mann mit zottigen Dreadlocks in abgewetzter Lederjacke auf sie zu und legte sich den anderen Arm des Verletzen über die Schulter. “Was ist da oben passiert?” fragte er, während sie den Mann die nächsten Stufen hinab bugsierten. “Ich weiß es nicht.” Elisabeth keuchte ein wenig. Zu zweit ging es viel leichter. Der junge Mann fuhr fort zu sprechen: “Wir haben eine Explosion oder so etwas gehört, ich hab den Notruf betätigt und denen Bescheid gesagt, sie meinten sie würden sich um die Sache kümmern.” Elisabeth nickte. Gut reagiert. Sie hatten die Treppe überwunden und waren auf dem Bahnsteig angelangt. “Dort drüben hin.” Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf eine der Sitzbänke. Der junge Mann nickte und gemeinsam legten sie den immer noch hustenden, halb bewusstlosen auf die Bank. Während sie kurz verschnaufte sah sich Elisabeth die anwesenden an. Eine Frau mit Kinderwagen, zwei kleine Mädchen in Schuluniformen, Zwei Handwerker in blauen Overalls, eine Frau um die dreißig mit furchtbar viel Makeup in Minirock und roten Stöckelschuhen und zwei Herren mittleren Alters in grauen Anzügen. Die Gesichter der Menschen zeigten Angst, Verwirrung oder schlichte Ratlosigkeit. Der junge Mann der ihr geholfen hatte wirkte am gefasstesten, also wandte sie sich an ihn. “Ich hab keine Ahnung was da draußen passiert ist, ich war gerade… auf dem Weg in die Station, als es diesen Knall gab.” Ihr Gegenüber nickte, und die anderen lauschten nervös als sie fortfuhr. “Alles was ich weiß ist, dass irgendetwas wirklich übles passiert ist, draußen ist ein seltsamer Nebel, oder Rauch, vielleicht Gas oder so etwas.” Zwischen den Anwesenden brach ängstliches Getuschel aus. “ Er hier,” sie deutete auf den stöhnenden Verletzten, ”war draußen und hat wohl zuviel davon eingeatmet, es ist also das Beste wenn sie alle vorerst hier unten bleiben wo das Zeug nicht hingekommen ist.” Der junge Mann nickte. “Am besten sie warten bis Rettungskräfte, die Polizei, oder sonst wer kommt. Ich werde…” Elisabeth stockte. Was würde sie denn nun tun? Nach Hause gehen und abwarten was weiter geschah? Hier bleiben? Versuchen Hilfe zu holen? Aber der Rettungsdienst war ja schon informiert, und es war nicht ihre Aufgabe sich nach einem Terrorangriff um die Verletzten zu kümmern. Nun, sie war immer noch beim Militär, vielleicht würde sie ja gebraucht, auch wenn sie das stark bezweifelte, immerhin durfte sie ja an keinerlei Einsätzen teilnehmen. Aber einen Vorteil hatte es, sie konnte zumindest in ihrem Stützpunkt anrufen, vielleicht wusste man dort bereits mehr über den Angriff. Und dann war da nach wie vor dieses Prickeln in ihren Fingerkuppen, jetzt in der Station war es nur sehr schwach, aber das Gefühl drohender Gefahr war immer noch da, und irgendwie fühlte sie sich in dieser Situation ohne eine Waffe geradezu nackt. Ja, erst musste sie raus aus der U-Bahn, dann den Stützpunkt anrufen, ihre Ausrüstung holen, und dann würde sie sich bereit halten für alles was da kommen mochte. All dies beschloss sie in wenigen Sekunden. “ Ich gehöre zur British Army.” beendete sie ihren Satz. “Wenn das wirklich ein Terroranschlag war, werde ich auf meinem Stützpunkt gebraucht.” Der junge Mann nickte erneut. “Wenn noch weitere Verwundete den Weg hier runter finden, kümmern sie sich bitte um sie bis ein Rettungsdienst eintrifft, ich werde in der Basis Meldung machen, dass es hier Verletzte gibt.” Erleichterte Seufzer von den Anderen verkündeten ihr, wie froh man drüber war nun mit Sicherheit zu wissen, dass man an offizieller Stelle über sie bescheid wusste und sich jemand um alles kümmern würde. Elisabeth schluckte. Es war Zeit zu gehen. “ Nun.. Ich werde mich dann auf den Weg machen. Halten sie einfach durch bis Hilfe eintrifft und gehen sie nicht nach draußen.” Die verängstigten Menschen nickten Elisabeth zu, dann wandte sie sich ab und stieg die Treppe hinauf. “Viel Glück!” rief ihr der junge Mann noch nach, bevor sie am oberen Ende der Treppe aus seinem Sichtfeld verschwand.
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" Er sah ein Licht am Ende des Tunnels. Es stammte von einem Flammenwerfer."