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10. October 2007, 21:16 - Kapitel 2 - Ehre & Liebe
Ukee Ukee ist offline
 
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Kapitel 2 Ehre & Liebe


Auf der Intensivstation war es stockdunkel. Nur das blaue Licht der Bildschirme und Anzeigen warf lang gezogene Schatten in den Raum. Beatmungsmaschinen rauschten und überall surrte und piepte es. Auf dem Bett neben der Tür lag ein kleiner Körper, oder das, was von ihm übrig war. Verbände, stark gebunden, formten die Enden der Stümpfe. Tränen rannen die Wangen hinab, denn er hatte keine Pulsadern mehr, die er sich aufschlitzen konnte. Schreckliche Phantomschmerzen plagten seine Beine und Arme, die nicht mehr da waren. Über seinem Bett hing eine Ehrenmedaille. Verliehen an Private Class 2 William McEwen, Gruppe Steal, wegen Tapferkeit im Kampf. Am Fußende seines Bettes lag ein löchriger, gepflegt gefalteter Union Jack. Ein Bett weiter lag ein Mädchen, scheinbar ohne äußere Verletzungen, doch Magie hatte ihr große Schmerzen bereitet, bis sich das Mädchen überreden ließ. Im Bett nebenan lag ein Soldat mit Stichwunden in Brust und Armen. Die Splitter eines heraus gesprengten Gitters hatten ihn erwischt. Lance Corporal David Higgins schlief, doch bald schon würde er wieder die Alpha-Kompanie unterstützen können. Drittes von vier Platoons. Zweite Brigade der 1. Division. Hauptaufgabe dieser war es die Hauptverkehrswege frei und vor allem sicher zu machen. Auf der anderen Seite war ein Bett von einem Vorhang verdeckt, daneben schlief Colour Sargeant Hugh Bottle. Er hatte einen Querschläger in den Kopf bekommen, doch er würde wieder gesund werden, hatte der Arzt gesagt. Er würde das 2. Platoon der Angel-Kompanie der dritten Brigade, 1. Division wieder führen können. Einige kleine Geschenke standen an seinem Bett. Die Hülse der Kugel, die noch vor drei Tagen in seinem Kopf steckte und einige kleine Kärtchen. Jemand hatte das Abzeichen von seiner blutdurchtränkten Uniform geschnitten und es ihm zukommen lassen. Es sah aus wie ein Klammeraffe, ein Zeichen, dass man früher zum verschicken von E-Mails benutzt hatte. Doch bei diesem Klammeraffen sprossen Federn aus dem, das a umschließenden Bogen. Auf der anderen Seite von Bottles Bett lag eine dünne ausgemergelte Gestallt. Alle Körperhaare waren ihr entfernt worden. Sie war gewaschen und roch stark nach Desinfektionsmittel. Er, denn es war ein Mann, schlief tief und fest. Auf seinem Nachschränkchen standen ein Krug mit Wasser und ein Becher. Ein kleiner Brief lag sorgsam gefaltet daneben. Auf seiner Krankenakte war kein Name zu finden. Wie bei dem kleinem Mädchen war das Krankheitsbild ein starker epileptischer Anfall. Vor der Tür murmelten zwei Stimmen. Nur McEwen hörte sie durch sein Schluchzen, er, der einzige der nicht schlief. Er erkannte die Stimme der Krankenschwester. Schrill und verärgert. Die Männerstimme kannte er nicht.
„Das können sie nicht machen, beide hatten erst kürzlich einen starken epileptischen Anfall!“
„Epileptischer Anfall? Pah!“ Der Mann hatte sie brüsk angeblafft. „Epilepsie mag eine fürchterliche Krankheit sein, die sogar noch im letzten Jahrhundert von der Kirche Exorziert wurde, doch hier geht es um etwas anderes, etwas, das es Wert ist, von der katholischen Kirche exorziert zu werden. Es geht um den Beweis, dass die Kirche Jahrhunderte die schönsten Wesen Gottes auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat! Ich rede von Magie!“
„Reden sie doch keinen Unsinn, so etwas gibt es nicht!“
„Nein? Und wie würden sie die Ereignisse der letzten Monate beschreiben? Nicht existent?“ Jemand packte die Klinke, McEwan schrak zusammen. Der Mann war eingetreten. Er schien alt. Auf der Hakennase saß eine dünne Brille, hinter der unergründliche grüne Augen lagen. McEwen hielt die Luft an. Ein weißer, gepflegter Spitzbart kräuselte sich in einem sanften Bogen vom Kinn, bauschige Koteletten rahmten das Gesicht. Auf dem Kopf trug er ein schwarzes Barett. Ein sauber gezogener Pferdeschwanz wippte bei jedem Schritt. Er trug feste Schuhe, graue Kniestrümpfe und graue Knickerbocker. Ein graues Uniformhemd und eine graue Soldatenjacke. Darüber einen großen schottischen Mantel.
„Mister Honoré, es missfällt mir sehr, dass sie in die Intensivstation eindringen. Ich bin gezwungen, den Oberarzt zu holen.“ Die Schwester lief davon. Honoré wandte sich zu dem Mädchen zwischen McEwen und Higgins. McEwen beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Den Kopf konnte er wegen der Halskrause nicht drehen.
„Hab keine Angst, steh auf und zieh dich an. Wir gehen fort von hier, so wie ich dir in deinen Träumen versprochen habe.“ Er strich ihr sanft über die Wange. Sie sah ihn mit großen Augen an und presste die Lippen aufeinander. Dann stieg sie aus dem Bett. Sie sah Honoré schüchtern an.
„Oh, ja, natürlich, mein Fräulein!“ Honoré schmunzelte und zog den Vorhang zu. Er wandte sich um und starrte nun auf den zugezogenen Vorhang neben Colour Sargeant Bottle. McEwen wusste nicht, wer dahinter verborgen war, niemand wusste es. Honoré schnaubte verächtlich und ging nun zu der kahlgeschorenen, ausgemergelten Gestallt. Er betrachtete den Mann eingehend, dann schüttelte er ihn. Keine Reaktion. Honoré schlug die Decke zurück, legte seinen Mantel ab und wickelte den Bewusstlosen darin ein.
„Love, Schätzchen, bist du fertig?“ Er wuchtete sich die Gestallt über die Schultern.
„Ja, ich… ja, ich komme.“ Das Mädchen trat hinter dem Vorhang hervor. Sie trug zerschlissene Turnschuhe, eine löchrige Jeans und mehrere Sweater die ihr bis fast zu den Knien hingen.
„Dann lass uns gehen.“
„Sie gehen nirgendwo hin!“ Der Oberarzt stand nun in der Tür. Sein Kittel war schon lang nicht mehr weiß gewesen und ähnelte eher der Schürze eines Metzgers. Er sah Honoré entrüstet an und baute sich in der Tür auf.
„Ich werde das Sicherheitspersonal kommen lassen. Die Schwester lief los, doch plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Der Oberarzt flog Rücklings aus der Tür und schlug hart auf dem Boden auf. Honoré sah ihn traurig an.
„Ich werde beide mitnehmen! Ob es ihnen passt oder nicht!“ ESo nahm er die Hand des Mädchens und schritt mit ihr zur Tür hinaus. McEwen hörte ihre Schritte, dann war es ruhig. Der Oberarzt sprach nicht, er saß immer noch fassungslos auf dem Boden. Die Schwester kam nun in das Zimmer und machte die zwei leeren Betten. McEwen sah ihr zu, er konnte nicht fassen, was er gesehen hatte. Ohne den Arzt zu berühren, hatte der alte ihn aus dem Zimmer geschleudert. Sie strich das Laken auf dem Bett des Unbekannten glatt und nahm den Krug von dem Schränkchen, da fiel ihr Blick auf den gefalteten Brief. Sie setzte sich auf das Bett und faltete ihn auf. Die Neugier in ihrem Gesicht wich rasch aufkommender Angst und Panik. Sie schritt aus dem Zimmer und schloss die Tür. McEwen dachte nun darüber nach, was wohl in dem Brief stand. Doch als er sich am Kopf kratzen wollte, kehrten die Gedanken zum Sterben zurück.
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Scheiße, es ist die Hölle!